Das Landschafts - Theater am Hexentanzplatz in Thale

NN 2009-08-02

 

Wenn man den östlichen Harz bereist, führt kein Weg an Thale vorbei. Hier, wo sich das Wasser seit undenklichen Zeiten eine tiefe Schlucht durch das harte Gestein gebahnt hat, liegt am Ausgang die Stadt Thale. Überragt von der Roßtrappe nördlich und dem Hexentanzplatz südlich bilden riesige Felswände eine großartige wilde Landschaft, ein Felsentor, mit steilen zerklüfteten Wänden und dazwischen die rasch dahin fließende Bode, nach der auch das Tal benannt ist.

Hexentanzplatz! Die Bezeichnung des Ortes erhellt sich daraus, dass unmittelbar am Abhang eines mehr zum Bodetal abgekehrten Hanges Richtung Steinbachtal der altheilige Opferstein mit Becken und Hakenkreuz gefunden wurde. Der Stein wurde in die Walpurgishalle verbrach, die an einer alten Feuer- und Kultstätte über dem Tal errichtet wurde. Der nahe vorzeitliche, noch gut erkennbare Steinwall, schirmt das Heiligtum zum waldigen Höhenrücken ab.

 

Im Innern Gemälde von Hendrich aus der Faustsage

 

Die Hexenkanzel ist ebenfalls dort zu finden und bietet bei guter Sicht einen weiten Blick über die Ebenen, die von schmalen und flachen bewaldeten Höhenrücken durchzogen ist, bis hinüber nach Quedlingburg und Halberstadt.

 

Das Bergtheater heute

Wer und warum errichtete man 1903 an solch unzugänglichem abfallenden Gelände eine den griechischen Amphitheatern nachempfundene Waldbühne?

Dazu muss man etwas ausholen!

In der Zeit um die Jahrhundertwende konzentrierten sich die großen Bühnen in den Großstädten des Landes. Berlin, da auch Wohnsitz des Kaisers, wurde besonders gefördert und gab den Ton an.

Die akademisch gebildeten und an Kunst Interessierten dieser Zeit sahen allerdings in den Luxus – und Geschäftstheatern mit ihrem Mangel an dramatischem Stil und ihrem konventionellen Publikum eine Entwicklung, die als jammervoll zu bezeichnen war.

Einer Gefährdung des Volksschauspiels durch Abkehr von Stoffen aus heimischen Mythen und Sagen, sollte entgegen gewirkt werden durch die Schaffung einer Nationalen Bühne.

 Zunehmender Materialismus und die Abkehr von der Natur waren auch schon damals ein Thema, und wurde mit Besorgnis beobachtet.

„Vom Landschafts- und Stammestheater wird die Lösung dieser nationalen Aufgabe erwartet werden können; denn es stellt sich das Ziel, dem Stamme, in dessen Gemarkungen es errichtet ist, die Augen über seinen Wert, über die Heiligkeit wurzelständigen Volkstums, die Notwendigkeit der Erhaltung deutscher Eigenart und Sitte zu öffnen.“ So formulierte es Max Geißler aus Weimar, der zum engsten Förderkreis um Dr. Ernst Wachler, dem Initiator des Bergtheaters gehörte.

Aber warum verfiel man damals auf Thale am östlichen Rande des Harzes? Der Harz ist Berlins nächst gelegenes Gebirge und war schon um 1880 ein beliebtes Ziel für Erholungssuchende und Wanderfreude. Thale lag an der Linie der preuß. Staatsbahn Richtung Magdeburg – Berlin und war damals schon leicht zu erreichen.

Johannes Nickol war das felsige Bodetal, Hexentanzplatz und Roßtrappe durch Besuche mit den Eltern und mit der Schulklasse sehr vertraut, einmal durch Kuraufenthalte und zum Anderen durch Klassenfahrten. Es ist durchaus denkbar, dass Johannes Nickol seinen Freund Ernst Wachler erst auf diesen Ort aufmerksam gemacht hatte.

Ernst H. Wachler (Abgang Ostern 1888) besuchte wie er das Joachimthalsche Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, welches er Ostern 1889, ein Jahr später, mit dem Abitur verließ.

Auch beim anschließenden Studium an verschiedenen Universitäten wie Marburg und München sind sich die beiden noch begegnet.

Nachdem das Projekt 1903 aus Spenden, die von 70 Damen und Herren aus den besseren Ständen stammten, verwirklicht wurde, fand ein Festspiel, betitelt „Walpurgis“, statt. Kein anderer als Georg Barlösius, der auch schon zwei Bücher von Joh. Nickol illustriert hatte, hatte das Plakat entworfen.

 

 

 

 

 

Auszug aus einem von E. Wachtler veröffentlichen Heftchen zur Eröffnung des Bergtheaters 1903

Das

Landschafts = Theater

Stimmen

über das Bergtheater am Hexentanzplatz

und das Problem der national = volkstümlichen Bühne

von

  1. Bieder, F. Fischbach

Max Geißler, Otto Hempel, Carl Klings, Fr. Lienhard

Johannes Nickol, Ernst Wachler

 

Preis 50 Pfg.

 

 Thale a. Harz

Verlag des Bergtheaters

1903

 

 

Wo finden wir die Grundlagen einer nationalen Bühne?

 

Für uns bedeutet das Landschaftstheater ein neues Ziel. Denn nicht die müßige Liebhaberei für das Theaterspiel, nicht die Wahrnehmung der materiellen Interessen der dabei beschäftigten Personen zwingt uns zu dieser Schöpfung, sondern die tiefe Sehnsucht nach einer wahrhaft deutschen Kunst. Diese aber kann nicht etwas an für sich Bestehendes sein. Vielmehr ist sie nur eine der herrlichsten Äußerungen nationaler Kultur überhaupt. Darum ist unsere Stellung zur Bühnenkunst gekennzeichnet durch unsere Auffassung der deutschen Kulturentwicklung.

Wir beklagen es aufs schmerzlichste, dass es unserem Volke nicht vergönnt war, gleich den großen Nationen des Altertums die Keime seines nationalen Lebens ungestört zur Reife zu bringen, oder mit anderen Worten eine klassische Kultur zu erreichen. Als das deutsche Volk den Anlauf zu einem höheren Geistesleben nahm, ward es verstrickt in den Netzen universaler Mächte: der antiken Bildung und der christlichen Glaubens- und Sittenlehre. In diesen Netzen sitzt es noch heute gefangen und sein Leben ist dahingegangen in unablässigen, qualvollen Versuchen sich daraus zu befreien.

Die Bewegung der Renaissance machte höhere Bildung zum Vorbehalt der gelehrten Stände. Ein Riss geht durch das Volk. Der untere Teil bleibt roh, „barbarisch“; ihm ist der Zugang zum Lichte gesperrt. In gleicher Weise leiden die oberen Schichten unter diesem Verhängnis. Sie werden den „Gebildeten“ des Auslands verwandter im Geiste als ihre Blutgenossen. Ihre Bildung bleibt theoretisch, es fehlt ihr der Saft und die Kraft des Bodenwüchsigen.

Diese Zustände finden die großen Dichter des achtzehnten Jahrhunderts vor. Es gibt kein nationales Theater. Sehnsuchtsvoll blicken sie nach dem Lande der Griechen. Ihrem Volke so hohe Kunst zu schaffen ist ihr Wunsch. Aber nur antike Formen vermögen sie zu entlehnen; eine der attischen ähnliche Bühne zu begründen bleibt ihnen versagt. Warum scheitert ihre Aufgabe? Weil, ungleich wie im alten Athen, die Nation als Zuschauer fehlt. Im ganzen genommen mühen sie sich um den Gebildeten. Seitdem ist das ratlose Experimentieren das hervorragende Kennzeichen der deutschen Dramatik geblieben. Der Mangel an einer wahrhaft nationalen Bühne, hat er nicht seitdem wie ein erbarmungsloses Schicksal gelastet auf Heinrich von Kleist, Grillparzer, Otto Ludwig, Friedrich Hebbel? Der Mangel jeglichen dramatischen Stils, bringt er nicht noch heute jeden jungen Dichter an den Rand der Verzweiflung?

Und diese jammervollen Zustände sollen ewig währen?

Wie ist hier zu helfen? – Kein Zweifel, nur ein entschlossener Radikalismus kann uns helfen. Wir müssen zunächst einmal vollständig verzichten lernen auf die Hilfe der modernen Luxus- und Geschäftstheater und das ihnen angepasste konventionelle Publikum. Wie die neue deutsche Kultur, so kann auch die nationale Bühne nur aufgebaut werden auf dem breiten Grunde des ursprünglichen Volkstums. Überall im deutschen Lande möge an historisch oder landschaftlich geeigneten Orten das Volksschauspiel erblühen, als Urzelle gleichsam der höheren dramatischen Entwicklung. Hier mische sich der Dichter unter das festlich versammelte Volk, das leuchtenden Auges die Verklärung seines nationalen Wesens erwartet, und nehme sein Bild in sich auf, um es sicher zu gestalten. Wie viel örtliche Sagen und Geschichten, wie viel urzeitliche Bräuche harren noch der dramatischen Verkörperung! Mag im Anfang der Versuche manches Unzulängliche mit unterlaufen, das darf uns nicht kümmern. Die Grundlagen einer volkstümlichen Dramatik, eines eigentümlichen deutschen Stils sind hier gegeben. Zwischen Volkstum und Kultur ist eine unablässige gegenseitige Befruchtung ermöglicht. Die Entwicklung des Volksschauspiels zu Hoheit und Adel steht keine Schranke entgegen, und so mag denn der begeisterten Arbeit des gegenwärtigen und der künftigen Geschlechter glücken, was bisher noch stets das unerfüllte Verlangen unserer edelsten Geister blieb; die Hoffnung einer wahrhaft nationalen Bühne.

Grunewald, Kunzbundschuhstr. 12                                                                                                Johannes Nickol